Alles eine Frage der Betreuung?


Ich bin zu einer Erkenntnis gelangt. Der Erkenntnis, dass eine Betreuung und Begleitung während der Promotion essenziell ist. Und dass ich mich angesichts meiner Betreuungssituation glücklich schätzen darf. Die Betreuung des wissenschaftlichen Nachwuchses sollte verbindlich, fachlich und sozial kompetent sowie entwicklungsorientiert sein. Unter entwicklungsorientiert verstehe ich eine gute Balance zwischen Anforderungen und Förderung, zwischen kritischen Impulsen und fachlichem Input. Und dazu gehört auch positives Feedback. Besonders die deutsche Feedback-Kultur zeichnet sich durch eine eher defizit-orientierte Sichtweise aus – ein Lob oder Kompliment muss fast ausdrücklich eingefordert werden.

Aber wie bin ich dazu gekommen? Mitte September bin ich zum ersten Mal auf der Nachwuchstagung der Arbeitsgemeinschaft für Sportpsychologie e.V. (asp) in Salzburg gewesen. Die asp vertritt Sportpsycholog*innen in Forschung und Anwendung und veranstaltet jährlich eine wissenschaftliche Tagung in deren Vorfeld der Nachwuchs, also wir Doktorand*innen, zu ihrer eigenen kleinen Tagung eingeladen werden. In Salzburg hatten wir die Möglichkeit, unser Promotionsprojekt, eine geplante Studie oder Ergebnisse einer Studie vorzustellen. In einer kleinen Runde, bestehend aus weiteren Doktorand*innen sowie einer erfahrenen Mentorin, konnten wir anschießend kritisch diskutieren, Ideen sammeln und Feedback erhalten. Ich hatte vorläufige Ergebnisse meiner aktuellen Studie im Gepäck. Zur Erinnerung: Wir hatten Eltern von Nachwuchsfußballer*innen in einer Online-Befragung gebeten, Situationen zu beschreiben, die sie in Bezug auf ein Fußballspiel ihres Kindes als stressig oder emotional herausfordernd erleben. Mitgenommen von der Tagung habe ich frische Impulse, Ideen für die Auswertung und vor allem: jede Menge Rückenwind. Danke an die Gruppe!

Ich habe auch viele konstruktive Gespräche geführt auf dieser Tagung. Die meisten dort fühlten sich wohl mit ihrer Promotion. Auch ich fühle mich innerhalb des Instituts sowie dank ehemaliger Kommiliton*innen und der Unterstützung durch das Mentoringprogramm für den weiblichen wissenschaftlichen Nachwuchs der DSHS Köln gut betreut. Aber es hat mich trotzdem zum Nachdenken angeregt. Denn ich habe während meiner Promotion auch von schwierigen Erfahrungen gehört, in denen sich Doktorand*innen beispielsweise fragen, wie sie ihre vielbeschäftigten Betreuenden erreichen können, wie Verbindlichkeit geschaffen werden kann und ob sie überhaupt regelmäßig Rückmeldung und Unterstützung einfordern dürfen. Dürfen! Es wurden Betreuungen beschrieben, in denen mehrere Wochen auf eine Antwort per E-Mail gewartet wird – manchmal vergeblich – oder in denen seit sechs Monaten kein Gespräch mehr zwischen Doktorand*in und Betreuenden stattgefunden hat.

Die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG; https://www.dfg.de/formulare/1_90/1_90.pdf) schlägt hinsichtlich der Betreuung einer Dissertation Pflichten sowohl von Doktorand*innen als auch von Betreuenden (Doktormutter/Doktorvater) vor. Auf Seiten der Doktorand*innen umfasst das beispielsweise regelmäßige Berichte über die Dissertation oder das Teilen von Ergebnissen aus den jeweiligen Projekten. Aufgaben und Pflichten der Betreuenden hingegen beinhalten eine regelmäßige fachliche Beratung und das Einfordern von Fortschritt, Förderung von Karriere, Netzwerk und Selbständigkeit sowie ein Mentoring. Beiden Parteien wird demnach ein Interesse daran unterstellt, dass die Dissertation voranschreitet, Qualitätsansprüchen genügt und in einem angemessenen Zeitraum abgeschlossen werden kann. Was sich auf dem Papier gut liest, sieht in der Realität des deutschen Wissenschaftssystems jedoch zuweilen anders aus.

Das macht mich traurig und wütend zugleich. Und vor allem kann das nicht im Sinne der Wissenschaft sein. Als angehende und etablierte Wissenschaftler*innen müssen wir doch gleichermaßen zu Erkenntnisfortschritt und fachlicher Qualität beitragen wollen. Es scheint häufig ein Betreuungs-Paradox zu geben. Der Imperativ heißt: Promoviert! Schnell, innovativ und gut. Das Problem ist nur: Vielen Promovierenden wird nicht gezeigt, wie es geht.  Dabei kann das Betreuungsverhältnis im besten Fall gewinnbringend für beide Seiten sein. Mein Doktorvater hat zu uns Doktorand*innen einmal gesagt, er sehe seine Aufgabe auch darin, uns in Zukunft besser zu machen als ihn. Was für ein Credo. Für mich zeigt das gelebte Wissenschaft: die Bereitschaft zu Fortschritt, zu Falsifizierung und Kommunikation – ein Gesamtpaket der Betreuung.

Und deswegen, liebe Doktormütter und Doktorväter: Wir brauchen euch! Und geben gerne so viel wie nur möglich zurück. Betreut uns – mindestens so, wie ihr gerne während eurer Dissertation betreut worden wärt. Wir werden es euch danken.


Unsere Autorin bloggt seit Juli 2020 regelmäßig über ihr Forschungsthema “Eltern im Sport” und ihr Promotionsvorhaben.

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