Die Krux mit dem roten Faden


Ich bin ein Mensch, der leicht zu begeistern ist. Da gibt es keinen Zweifel. Neue Aktivitäten, Veranstaltungen aller Art, alle möglichen Produkte ziehen mich in ihren Bann – und eben auch Forschungsthemen. Das, was in einem Bewerbungsgespräch manchmal als „vielfältig interessiert“ durchgehen könnte, hat in der Wissenschaft leider gleichermaßen Vorteile wie Nachteile – wie wahrscheinlich generell im Leben. Und so habe ich mich in den ersten Monaten (ja, Monaten!) meiner Promotion schwergetan und wiederholt in ein Dilemma zwischen „Wow, das ist aber auch spannend“ und „Nein, bleib bei deinem Fokus“ erlebt. Nur, was ist denn mein Fokus? Und was sind meine Forschungsfragen? Und wo möchte ich am Ende meiner Promotion stehen? Fragen, die einen am Anfang einer Promotion durchaus erschlagen können.

Im ersten Jahr der Promotion habe ich gelernt, wie wichtig es ist, sich diese Fragen immer wieder zu stellen. Um Antworten zu finden, habe ich so manche Flipchart mit meinen Ideen vollgeschrieben, die dann, liebevoll verteilt, überall in der Wohnung hingen. Ich bin ein Fan von Ordnung und Struktur, und so hatte jede Flipchart ihr eigenes Design und Thema, und ja, selbst die farbliche Gestaltung folgte einer inneren Logik. Zumindest in diesem Punkt hatte ich also den roten Faden bereits gefunden. Dazu kommen mittlerweile drei verschiedene Notizbücher, in die Gedanken, spontane Ideen und mir wichtig erscheinende Hinweise aufgenommen werden. Und wenn ich sie von Zeit zu Zeit durchgehe, bin ich tatsächlich manchmal überrascht, was ich dort bereits vor einigen Monaten notiert habe.

Eines meiner ersten Flipcharts, als ich an der Idee für meine Promotion gearbeitet habe.

Wenn ich an den Punkt gekommen war, dass ich mich dem roten Faden meiner Promotion näher fühlte, habe ich mein Projekt mit Kolleg*innen aus dem Institut besprochen und Feedback eingeholt. In unserer Abteilung kommen Wissenschaftler*innen aus diversen Bereichen der Sportpsychologie zusammen, sodass wir aus einem vielfältigen Wissens- und Erfahrungsschatz schöpfen. Unterhaltungen mit Familie oder Freunden waren ebenfalls wertvoll, denn sie haben häufig eine Perspektive abseits des wissenschaftlichen Alltags geboten und geholfen, einen frischen Blick auf den größeren Zusammenhang oder die Relevanz des Forschungsprojekts zu bekommen. Glücklicherweise kann ich sagen, dass die Frage: „Wen interessiert das eigentlich?“ nie gekommen ist.

Trotzdem fiel nicht selten das Feedback zum Projekt kritisch aus. Zum Glück! Denn ohne das hätte ich mich wahrscheinlich persönlich und professionell weniger gut weiterentwickeln und reflektieren können. Und nach einer Feedbackrunde ging schließlich die Flipchart-Produktion von vorne los. Wie viele Durchgänge ich mittlerweile durchlaufen habe, kann ich nicht mehr rekonstruieren. Was ich sagen kann, ist, dass es hilfreich und notwendig war, aber zeitweise auch frustrierend. Es gab nie eine Phase, in der ich an meiner Idee oder dem übergeordneten Forschungsthema gezweifelt habe. Aber es gab sehr wohl Tage, an denen es mir schwerfiel, mich ein weiteres Mal auf ein abstraktes, theoretisches Niveau einzulassen, denn ich wollte endlich loslegen und Ergebnisse sehen.

Eine gute theoretische Basis und ein logisch zusammenhängender Aufbau einer Studie (z.B. Zielgruppe, Design, Methoden, Auswertung) sind unabdingbar, aber sie benötigen Zeit. Eine gute wissenschaftliche Studie basiert auf dem aktuellen Stand der Forschung, bezieht aktuelle Entwicklungen ein, zeigt Forschungslücken auf und bringt somit einen „added value“, einen Mehrwert, der wiederum das Forschungsfeld voranbringt. Eine gute wissenschaftliche Studie entwickelt auch eine Forschungsfrage und Hypothesen über die zu erwartenden Ergebnisse und wählt in deren Abhängigkeit die Untersuchungs- und Auswertungsmethoden. Wenn mich beispielsweise interessiert, welches Elternteil Kinder beim Zuschauen am Spielfeldrand bevorzugen und ob das abhängig vom eigenen Geschlecht der Kinder ist, würde ich wahrscheinlich eine Fragebogenstudie durchführen. Wenn mich aber eher interessiert, wie Kinder zu der Entscheidung gelangen, dass sie das eine oder andere Elternteil am Spielfeldrand bevorzugen, sollte ich lieber Interviews mit Kindern führen. Das würde mir einen eingehenderen Bericht ermöglichen. Das Beispiel ist nur eines von vielen, und so hat es schließlich mehr als ein halbes Jahr gedauert, bis meine erste Studie als Online-Befragung gestartet ist. Glaubt mir, an diesem Tag habe ich drei rote Kreuze in den Kalender gemacht. In der Online-Befragung wurden Eltern gebeten, Situationen während eines Fußballspiels ihres Kindes zu beschreiben, die sie als stressig oder emotional herausfordernd erlebt haben. Derzeit haben etwa 340 Eltern auf die Befragung geantwortet – eine positive Resonanz, die mich wirklich gefreut hat. Ende August wird die Umfrage geschlossen, dann startet die Auswertung der Daten, sodass ich euch hoffentlich in meinem nächsten oder übernächsten Blog-Beitrag von den Ergebnissen berichten kann.

Habe ich meinen roten Faden nun gefunden? Ja und nein. Wissenschaft lebt davon, dass sie sich ständig weiterentwickelt, und so werde ich mir die gleichen Fragen immer wieder stellen. Allerdings habe ich mittlerweile einen Vorteil: Ich habe aus meinen Erfahrungen gelernt. In einem Promotionsseminar fiel der Satz „Nein sagen ist ein Zeichen der Profilierung“. Am Nein-Sagen arbeite ich jetzt.


Unsere Autorin bloggt seit Juli 2020 regelmäßig über ihr Forschungsthema “Eltern im Sport” und ihr Promotionsvorhaben.

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