Endlich wieder Wissenschaft in Präsenz!

Vor kurzem bin ich nach Leipzig gereist. Auch wenn es unspektakulär klingen mag, kommt dieser Reise eine besondere Bedeutung in meiner Promotion zu: Es war seit Herbst 2019 die erste wissenschaftliche Tagung in Präsenz. Um es einmal für euch einzuordnen: Normalerweise besuchen Forscher:innen regelmäßig wissenschaftliche Tagungen und Kongresse, um Einblick in neueste Forschungserkenntnisse zu bekommen, sich mit Kolleg:innen (kritisch) auszutauschen und – natürlich – um ihre eigenen Arbeiten vorzustellen. Seit Beginn der Corona-Pandemie war dies leider nur im digitalen Format möglich und das schränkt trotz technischen Fortschritts die Gelegenheiten zum Netzwerken und Ideen-Schmieden massiv ein. Umso schöner, dass in diesem Jahr insgesamt vier Konferenzen auf mich warten.

Los ging es also Anfang Mai auf dem Nachwuchsleistungssport-Symposium des Instituts für Angewandte Trainingswissenschaft in Leipzig. Hier war ich mit einem Poster vertreten, das wissenschaftliche Erkenntnisse und Praxis-Tipps zur Zusammenarbeit zwischen Trainer:innen und Eltern gezeigt hat. Zum ersten Mal hatte ich unsere neu entwickelten Materialien zum Thema Elternarbeit im Gepäck, die bei den Trainer:innen sehr gut ankamen. Mein absolutes Lieblingszitat aus einer aktuellen Studie findet ihr in den Fotos dieses Blog-Beitrags. Und an dieser Stelle: Danke, liebe Lara, für deine geniale Postkarten-Idee!

Insgesamt war das Nachwuchsleistungssport-Symposium eine optimale Gelegenheit für mich, Kontakte in die Sportpraxis zu knüpfen. Zumeist werden wissenschaftliche Tagungen – wie der Name vermuten lässt – von Wissenschaftler:innen besucht. In der Sportpsychologie ist zwar traditionell ein Anteil an in der Praxis tätigen Kolleg:innen vertreten, aber selten erreichen wir auf diesen Tagungen unsere eigentliche Zielgruppe, ob Athlet:innen, Trainer:innen, Schiedsrichter:innen oder Eltern. Noch viel wichtiger war es allerdings für mich zu sehen, dass die bisherige Forschung aus meiner Doktorarbeit für den Alltag von Trainer:innen und Eltern relevant und hilfreich sein kann. Nicht alle Forschungsthemen eignen sich für einen unmittelbaren Praxisbezug oder streben eine Aufarbeitung der Ergebnisse für ein breiteres Nicht-Expert:innen-Publikum an. Die Motivation für meine Doktorarbeit entstammt allerdings der Vision, die Situation von Eltern im Nachwuchsfußball zu verbessern. Und das kann nicht nur im bekannten Elfenbeinturm passieren.

Zum Abschluss möchte ich euch noch einen Einblick in meine Gedanken geben, wissenschaftliche Tagungen zu besuchen – und wieso ich es anderen Nachwuchs-Wissenschaftler:innen nur empfehlen kann.

1. Das eigene Netzwerk ausbauen

Tagungen eignen sich wunderbar, um neue Kontakte zu knüpfen und damit den eigenen Horizont zu erweitern. In der Forschung können die Kreise an Interessierten und Expert:innen für ein bestimmtes Themengebiet häufig sehr ausgewählt sein. Ein Kennenlernen auf Tagungen kann daher den Zugang und einen gezielten Austausch ermöglichen. Außerdem lässt sich dadurch herausfinden, wer aktuell an welchen Fragestellungen forscht. Und, Forschung beiseite: Aus Begegnungen von Sportpsychologie-Tagungen sind mittlerweile langjährige Freundschaften entstanden.

2. Up-to-date bleiben

Täglich werden tausende neue wissenschaftliche Publikationen veröffentlicht – alles mitbekommen und lesen zu wollen, ist absolut unrealistisch. Deshalb sind Tagungen eine gute Gelegenheit, aktuelle Erkenntnisse aus dem eigenen Schwerpunkt und angrenzenden Forschungsgebieten kompakt aufbereitet zu konsumieren. Man munkelt, dass so manche nach der Informationsflut auf Tagungen erst einmal Urlaub brauchen…

3. Das eigene Profil gestalten

Ein Aspekt, der meiner Meinung nach häufig übersehen wird und manchmal sogar verpönt ist, ist das Profilieren. Durch Präsentationen auf Tagungen tragen wir dazu bei, uns ein wissenschaftliches Profil zu schaffen – für uns selbst und für die Öffentlichkeit. Und damit meine ich keinesfalls eine (übertriebene) Form der Selbstdarstellung, sondern ein Platzieren der eigenen Forschung im Feld und eine Arbeit an der Kernfrage: Was macht mich als Wissenschaftler:in aus? Ich bin übrigens noch dabei, diese Frage zu beantworten.

4. Die Ideenkiste ankurbeln

Besonders für Studierende oder frischgebackene Doktorierende können Tagungen eine Inspirationsquelle für Forschungsideen sein. So habe ich das Thema meiner Masterarbeit auf einer Sportpsychologie-Tagung in der Schweiz gefunden. Und ich nehme immer ein kleines Notizbuch für meine Gedanken mit. Manchmal wundere ich mich dann im Nachhinein, was ich alles an Ideen generiert habe. Die Erleuchtung muss aber nicht alleine kommen: In der Diskussion mit Kolleg:innen findet sich vielleicht ein gemeinsames Herzensthema und es werden Pläne zur Zusammenarbeit geschmiedet – auf das neue Projekt kann dann direkt am Gesellschaftsabend angestoßen werden.

5. Die Jagd nach Koryphäen

Wenn ich an meine erste Sportpsychologie-Tagung (Münster, 2016) zurückdenke, war ich absolut fasziniert und voller Respekt. All die großen Namen, die ich in meiner Bachelorarbeit zitiert hatte, durfte ich nun hautnah erleben. Bei aller Faszination gibt es nun einen Spoiler für euch: die kochen alle auch nur mit Wasser. Selbstverständlich gibt es namhafte Wissenschaftler:innen, die bemerkenswerte Forschung machen, die Vorbilder sind, und bei denen es ein absolutes Privileg ist, Teil eines Vortrags oder Symposiums sein zu können. Ich möchte aber auch die Angst nehmen: In den meisten Fällen freuen sich renommierte Forscher:innen, wenn sie interessiert angesprochen werden und geben bereitwillig Auskunft oder ihr konstruktives Feedback. Eine Kollegin bereitet sich vor Tagungen regelrecht auf ein Headhunting vor: Diejenigen Expert:innen, von denen sie gerne eine Meinung hätte oder für die sie eine gezielte Frage hat, versucht sie auf der Tagung aufzusuchen. Manchmal ist ihr dafür tatsächlich nur noch die Tanzfläche am letzten Tagungsabend geblieben…


Ihr seid neugierig, wohin die nächsten Reisen gehen?

Mai

Tagung der North American Society for the Psychology of Sport and Physical Activity, Hawaii
Symposium: “Understanding the interdependent nature of persons and contexts in youth sport”
Mitwirkende: Obidiah Adkinson, Amand L. Hardiman, Daniel J. M., Travis E. Dorsch, Dawn Anderson-Butcher & Alan Vogt

Juni

Tagung der Arbeitsgemeinschaft für Sportpsychologie e.V., Münster
Transfer-Symposium: „(Gem-)Einsam zum Erfolg? Zur Zusammenarbeit zwischen Eltern und Trainer:innen im Fußball-Nachwuchsleistungszentrum“
Mitwirkende: Dr. Babett Lobinger, Dr. Theresa Holst, Dr. Anne Thissen & Mika Siebler

Juli

European Congress of Sport Psychology, Padova
Präsentation: “Dyadic coping in sport – a scoping review”
Mitwirkende: Prof. Katherine Tamminen & Dr. Sylvain Laborde

Workshop: “Acting on professional boundaries: How parents and coaches can team up in youth sport”


Über die Zeit vor Ort wird unsere Autorin auf ihren Social Media-Kanälen berichten:


Unsere Autorin bloggt seit Juli 2020 regelmäßig über ihr Forschungsthema “Eltern im Sport” und ihr Promotionsvorhaben.

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