Forschung am anderen Ende der Welt: Mein Forschungsaufenthalt in Neuseeland

Naku te rourou nau te rourou ka ora ai te iwi.

With your basket and my basket the people will live.

Das Sprichwort der Māori zielt darauf ab, dass man durch Kooperation und das Zusammenlegen von Ressourcen gemeinsam weiterkommen wird. Das passt zum einen sehr gut zu meinem Forschungsaufenthalt hier und zum anderen soll es zeigen, dass Sprichworte der Māori tief im kulturellen Bewusstsein Neuseelands verankert sind – doch dazu später mehr. Erst einmal von vorne: Ich möchte euch auf meine Forschungsreise nach Christchurch an die University of Canterbury in Neuseeland mitnehmen.

Einer der vielen öffentlichen Parks: Christchurch wird auch „Garden City“ genannt

Klimawandel und die Olympische Bewegung – Neuseeland als Vorbild?

Grundsätzlich betrachte ich für meine Doktorarbeit am Zentrum für Olympische Studien, inwiefern der organisierte Sport und insbesondere Akteure der Olympischen Bewegung den Klimawandel bei ihrer Arbeit in Betracht ziehen. Hier untersuche ich zum einen Klimaschutzmaßnahmen und zum anderen Anpassungsstrategien, damit es auch in Zukunft eine vielfältige Sportlandschaft gibt. Dafür befrage ich Sportorganisationen in Deutschland, Brasilien, Südafrika und eben auch Neuseeland. Dieses Land gilt bei uns in Deutschland immer wieder als Vorreiter, wenn es um progressive Ideen zum Thema Klimaschutz geht. Beispielsweise wurden direkt nach der Invasion Russlands in die Ukraine die Preise für den ÖPNV halbiert, um die Menschen zu motivieren Busse und anderen öffentlichen Nahverkehr zu nutzen. Zudem hat Neuseeland – als eine der ersten führenden Industrienationen – 2020 den landesweiten Klimanotstand ausgerufen und möchte den öffentlichen Sektor bis 2025 klimaneutral gestalten. Das ist auf dem Papier sehr bemerkenswert und ich habe mich gefragt, inwiefern das neuseeländische Sportsystem davon betroffen ist oder vielleicht auch davon profitieren kann. Oder spiegelt sich das politische Handeln vielleicht gar nicht im Sport wider? Mit diesen Fragen im Hinterkopf wollte ich schließlich nach Neuseeland reisen, um Interviewparter*innen zu finden. Da die Grenzen des Landes seit 1. Mai 2022 wieder für internationale Reisende geöffnet sind, habe ich beschlossen, meinen Forschungsaufenthalt direkt im Mai zu beginnen. Da die Sporthochschule, und insbesondere Professor Wassong, sehr gute internationale Kontakte zu den Olympischen Studienzentren überall auf der Welt pflegt, hat er mir einen Kontakt an der University of Canterbury in Christchurch vermittelt.

Olympic Research Group an der University of Canterbury

Professor Ian Culpan hat jahrelang die Olympic Research Group der Universität von Canterbury in Christchurch geleitet und ist seit einigen Jahren offiziell im Ruhestand. Durch seine Ehrenämter und Sitze in Kommissionen ist er aber noch immer im neuseeländischen Sport vernetzt. Das ist der Schlüssel, um Interviewpartner*innen vor Ort zu gewinnen. Denn vereinzelt Sportorganisationen zu kontaktieren und nach Interviews für ein Forschungsprojekt zu fragen, ist nicht besonders erfolgreich. Umso besser ist es, einen Ansprechpartner vor Ort zu haben, der sich auskennt und auch noch auf kulturelle Besonderheiten aufmerksam macht. Denn in der Vorbereitung zu den Interviews kam hier – im Vergleich zu den anderen Ländern – eine Besonderheit hinzu: Es ist unumgänglich, Forschung in Neuseeland zu betreiben, ohne das kulturelle Erbe der Māori (die ursprünglichen Einwohner*innen vor der Kolonialzeit der Briten) zu berücksichtigen. Daher habe ich mich erst einmal mit dem Vertrag von Waitangi beschäftigt.

Am Campus der University of Canterbury

Vertrag von Waitangi

Der Vertrag von Waitangi wurde 1840 zwischen den Māori und der Britischen Krone geschlossen und zielt darauf ab, die Rechte und das Eigentum der Māori zu schützen, sowie Sicherheit und Ordnung zu gewährleisten. Im Gegenzug mussten die Māori die Souveränität der britischen Krone über alle Inseln Neuseelands anerkennen. Der Vertrag ist noch heute gültig und wurde in den vergangenen Jahrzehnten zunehmend in das tägliche Leben integriert. Vor allem die Prinzipien der Entschädigung, Partnerschaft und Gleichheit spielen hierbei eine große Rolle. Im wissenschaftlichen Kontext heißt das, dass beispielsweise auch die Sichtweise der Māori in Betracht gezogen und Konsultation eingeholt werden muss.

Besonders die Sprache, die eine offizielle Landessprache Neuseelands ist, sowie Redewendungen sind omnipräsent. Daher habe auch ich zu Beginn eines eingebaut, um euch diese Kultur etwas näherzubringen. Gerade den Umgang mit der indigenen Bevölkerung finde ich sehr fortschrittlich. Auch wenn noch lange nicht alles perfekt ist, versucht man hier den postkolonialen Mantel abzulegen, vergangene Ungerechtigkeiten aufzuarbeiten und das Wissen der Māori zu nutzen. Auch die Integration der Māori in die öffentliche Verwaltung und Politik spielt dabei eine bedeutende Rolle, da diese Bevölkerungsgruppe bisher in vielen Schlüsselpositionen noch unterrepräsentiert ist. Erst kürzlich wurde die erste Māori mit einem Gesichtstattoo zur Ministerin ernannt.

Eindrücke und Erfahrungen

Diese offene und freundliche Art der Neuseeländer*innen spiegelt sich aber nicht nur in der Politik, sondern auch auf der Straße und in der Uni wider. Ian und seine Frau, Anne, sind super gastfreundliche Menschen und haben mich direkt in ihr Wochenendhaus am See eingeladen. Die Lebensqualität hier ist enorm. Die Fahrradinfrastruktur ist super, aber trotzdem nutzen sie vergleichsweise wenige Menschen, Neuseeländer*innen lieben nach wie vor ihr Auto. Das hat mich, um ehrlich zu sein, ein wenig irritiert, gerade weil die Voraussetzungen spitze sind und Neuseeland bei uns eben als Vorbild gilt. Zwar könnte die Frequenz der Busse höher sein, aber die Tatsache, dass zunehmend voll-elektrische Busse auf den Straßen zu finden sind, ist aus einer Klimaschutzperspektive besonders hervorzuheben. Eine Busfahrt vom Flughafen in die Innenstadt kostet dank der Zuschüsse momentan nur knapp drei Euro.

Mountainbiken am Meer

Neben öffentlichen Plätzen und Grünanlagen sind auch die Parks sowie Kunst- und Kultureinrichtungen entweder kostenlos, oder sehr günstig. Auch spannend: An jeder Ecke gibt es kostenlose öffentliche Toiletten. Nun überlegt mal, wo ihr in Köln kostenlos in saubere Toiletten gehen könnt. Oder erinnert ihr euch an den relativ langen Prozess, die Wasserspender an der Spoho einzuführen? Hier gibt es an jeder Ecke und in den Parks öffentliche Wasserspender, an denen man einfach seine Flasche auffüllen kann. Es sind diese kleinen Dinge, die die Stadt sehr lebenswert machen. Kleiner Wermutstropfen ist auf der anderen Seite, dass die meisten Cafés hier bereits zwischen 15 Uhr und 16 Uhr schließen. Klassisch “Kaffee und Kuchen am Nachmittag” gibt es hier daher umso weniger. Dafür trifft man sich schon nachmittags direkt im Pub, denn Alkohol im Freien zu konsumieren ist hier nur vereinzelt möglich.

Es gibt viele spannende Cafés, leider schließen die meisten aber schon vor 16 Uhr

Jetzt habe ich viele Eindrücke geteilt und dabei eine Sache vergessen: Die wunderschöne und vielfältige Natur. Wow. Skifahren, Mountainbiken und Wandern in den Bergen ist ebenso möglich wie Surfen und Schwimmen im Meer und in den zahlreichen Seen. Das alles ist schon auf jeden Fall eine Reise wert. Auch wenn der Flug sehr lange dauert und damit eine große Umweltbelastung darstellt, bin ich davon überzeugt, dass es sich lohnt, internationale Erfahrungen während seines Studiums zu erleben – egal ob im Bachelor, Master oder während der Promotion. Es muss ja nicht immer das andere Ende der Welt sein…

Port Levy, eine der unzähligen Buchten nur einen Steinwurf von Christchurch entfernt

Autor: Tim Sperber, Promotionsstudent am Zentrum für Olympische Studien / Institut für Sportgeschichte


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