Promotionsstudium American Style

Im vergangenen Jahr durfte ich für einen von der Fulbright Kommission geförderten Forschungsaufenthalt vier Monate in den USA verbringen. Manche haben sich vielleicht bereits gewundert, wann ihr wieder von mir hört. Die Zeit seit meiner Heimreise war vollgepackt mit Planungen für das Jahr 2022, Deadlines oder einem Umzug in ein neues Büro. Deshalb gibt es jetzt eine kompakte Zusammenfassung meiner Höhepunkte aus der USA-Zeit für euch. Dabei habe ich ein Portrait der Top Five auf eine etwas andere, auch humorvolle Art gewählt und erzähle euch kleine Geschichten über die lehrreichsten, beeindruckendsten, ärgerlichsten, peinlichsten und kuriosesten Momente meines Aufenthalts.   

Zur Erinnerung: Die Reise ging ins wunderschöne Logan im US-Bundesstaat Utah. Geprägt von Bergen, Seen und roter Sandwüste bietet Utah besonders naturbegeisterten Besucher:innen spektakuläre Szenen. Gewohnt habe ich im Norden Utahs, bei einem pensionierten Ehepaar in Logan, die früher einen Milchviehbetrieb besessen haben. Die Farm ist noch immer erhalten und so habe ich Gemüse geerntet, mich mit Kater Patch angefreundet und Ziege Cinnamon spazieren geführt – quasi ein Urlaub auf dem Bauernhof.

Ziege Cinnamon

Die Utah State University wurde 1888 gegründet und liegt inmitten eines Berg-Panoramas auf etwa 1400 Höhenmetern. Mehr als 28.000 Studierende gehen dort ihren Interessen in den Schwerpunkten Landwirtschaft und Ökologie, Kunst, Wirtschaft, Lehramt, Ingenieurswesen sowie den Sozial- und Naturwissenschaften nach. Sie werden „Aggies“ genannt – ein Spitzname, der aus der Gründungszeit der Universität rührt. Ursprünglich war die Utah State University nämlich ein so genanntes „College of Agriculture“.

Campus der Utah State University
Footballspiel mit der Gastfamilie

Meinen Arbeitsplatz hatte ich im „Families in Sport Lab“ unter der Leitung von Dr. Travis Dorsch. Die Abteilung umfasst derzeit sechs Mitarbeiter:innen und forscht beispielsweise zu Familienbeziehungen im Leistungssport und wie Eltern eine erfolgreiche Sport-Karriere unterstützen können. Während des Aufenthalts habe ich an einem Projekt gearbeitet, das das Elternmanagement in den Nachwuchsleistungszentren der deutschen Fußball-Bundesligisten untersucht hat. Dabei interessiert uns, welche Faktoren dazu beitragen, dass Vereine und Trainer:innen konstruktiv und langfristig mit Eltern zusammenarbeiten können. Dazu bald mehr, denn derzeit stecke ich knietief in hunderten von Seiten Projekt-Auswertung.

Doch genug der Programm-Einführung. Ich wünsche euch viel Freude


Das Lehrreichste

Den Moment der „lesson learned“ hatte ich bereits an meinem zweiten Tag. Frisch auf dem Campus angekommen, führte ich ein erstes Gespräch mit meinem Betreuer vor Ort, Dr. Travis Dorsch. Nachdem wir über das bevorstehende Projekt und die Organisation innerhalb seiner Abteilung gesprochen hatten, fragte er mich, welche Unterstützung ich mir von ihm wünschen würde. Die Frage machte mich im ersten Moment sprachlos. Was ich mir von ihm wünsche, wie er mich unterstützen kann – große Fragen, die ich so explizit während meiner Promotionszeit in Deutschland noch nicht gestellt bekommen hatte. Nach kurzer Bedenkzeit fand ich eine Antwort oder besser gesagt mehrere. Promotionsstudium American Style hieß Verantwortung und Eigeninitiative – aber nicht im deutschen Verständnis. Es bedeutete, darstellen zu müssen, was ich mir von der Zeit in Utah erwarte, wie ich von der Expertise vor Ort profitieren möchte und wie ich mir ein Betreuungsverhältnis vorstelle. Wie ich aktiv ein Betreuungsverhältnis gestalten möchte. Und ein Selbstverständnis der anderen Seite, dass die Entwicklung und Unterstützung von Doktorierenden an erster Stelle stehen. Diese Mentalität habe ich in die eigene Betreuung von Abschlussarbeiten mitgenommen. Auch die Frage, was von mir erwartet wird. Mal schauen, wen ich damit sprachlos mache.

Team in Büro
Vortrag über meine Dissertation
Axtwerfen mit Arbeitskolleg:innen

Das Beeindruckendste

Im August haben mich zwei Freunde aus Michigan besucht, Paige und Kevin. Beide kenne ich aus meinem Auslandsjahr in der 11. Klasse. Damals noch als Mitschüler:innen, mittlerweile sind sie verheiratet. Gemeinsam haben wir uns auf den Weg in den „Arches Nationalpark“ im Süden Utahs gemacht – fünf Stunden Roadtrip. Über ein verlängertes Wochenende haben wir die rote Steinwüste erkundet, sind zu gigantischen Formationen wie dem „Delicate Arch“, dem Staatssymbol Utahs, gewandert und haben eine Kayaktour auf dem Colorado River gemacht. Ein Geheimtipp sind die Sonnenaufgänge im Nationalpark. Wer mich kennt, weiß, dass ich absolut kein Morgenmensch bin. Aber für dieses hochgepriesene Erlebnis war ich tatsächlich um Punkt 5 Uhr in der Hotellobby. Im Nationalpark angekommen, stellte sich heraus, dass der Geheimtipp wohl doch nicht so geheim war. Glücklicherweise haben wir einen der letzten Parkplätze an den „Windows“, zwei großen fensterähnlichen Steinbögen, erwischt. An den Bögen angekommen, saßen bereits andere Schaulustige in den Felsen, teilweise mit voller Campingausrüstung. Nachdem auch wir ein Plätzchen gefunden hatten, warteten wir. Wir alle warteten gemeinsam in absoluter Stille. Gespannter Stille. Und als die Sonne schließlich ihre ersten Strahlen hinter den Felsen erblicken ließ, war der beeindruckendste und magischste Moment gekommen. In diesem Moment habe ich eine Welle an Gefühlen erlebt, die sich kaum in Worte fassen lässt. Demut vor der gewaltigen Natur. Dankbarkeit, dass ich die Möglichkeit für einen Forschungsaufenthalt habe. Glück, dass ich dem Spektakel beiwohnen durfte. Und als ich einige Minuten später in die Augen von Paige und Kevin blickte, wusste ich, dass es den beiden ganz genauso ging.

Sonnenaufgang im Arches Nationalpark

Das Ärgerlichste

Der erste Monat im Büro war ruhig. Sehr ruhig. Denn ich verbrachte ihn überwiegend alleine. Das Wintersemester in den USA beginnt Anfang September und anders als in Deutschland sind die meisten Wissenschaftler:innen über den Sommer im Urlaub oder in andere außer-universitäre Projekte eingebunden. Natürlich habe ich es genossen, ungestört zu arbeiten, beim Mittagessen nicht in der Schlange stehen zu müssen oder einen guten Parkplatz zu ergattern, aber Begegnungen und Gespräche hätten sicherlich nicht geschadet. Ebenso hatte die Utah State University vergleichsweise wenige Angebote für internationale Studierende und Wissenschaftler:innen, sodass ich für Austauschtreffen mit weiteren Stipendiat:innen nach Salt Lake City, die nächst größere Stadt, gefahren bin. Demnach empfehle ich allen, die ein Auslandssemester oder einen Forschungsaufenthalt im Ausland planen, die Reisezeit sowie die Bedingungen vor Ort bestmöglich zu bedenken. Die Utah State University war mit dem „Families in Sport Lab“ die perfekte Passung für meine Dissertation – eine stärkere soziale Einbindung am Campus hätte ich mir trotz allem gewünscht.

Austausch mit anderen Fulbrightern

Das Peinlichste

Utah ist geprägt von der Religion der Mormonen. So ist auch meine Gastfamilie Teil der „Church of Jesus Christ of Latter-day Saints“ (kurz: LDS) gewesen. Einmal im Jahr findet die so-genannte „General Conference“ statt, die eine Reihe an Vorträgen zu kirchen-bezogenen sowie alltäglichen Themen umfasst. Eines Abends schaute ich die Fernseh-Übertragung eines Vortrags mit meiner Gastfamilie an. Am nächsten Tag im Büro kam ich mit einem Doktoranden ins Gespräch, der ebenfalls Mitglied der Kirche war, und erzählte ihm über den Vortrag. Da ich den Namen des Vortragenden vergessen hatte, sagte ich, er sei „African American“ gewesen. Daraufhin bekam ich nur die verdutzte Antwort, dass es unter den diesjährigen Vortragenden niemanden gegeben habe, der „African American“ gewesen sei. Ich war kurz irritiert und versuchte meinem Gegenüber zu erklären, wen ich meinte. Schließlich wies mich dieser darauf hin, dass der Vortragende zwar „Black“, aber nicht „African American“ gewesen sei. Um ehrlich zu sein, wusste ich bis zu diesem Moment nicht einmal, dass dies einen Unterschied machte. Und dieses Unwissen war mir höchst peinlich – besonders, da mein Gegenüber sich selbst als „Black“ identifizierte. Meine Erfahrungen und meine Sprachgewandtheit über kulturelle und ethnische Unterschiede waren sichtlich begrenzt, weshalb ich in meiner USA-Zeit auch einen Workshop zu „Identities in the classroom“ besuchte. In meinem Arbeitsumfeld in Deutschland ist kulturelle Diversität bislang weniger ein Thema. Keine Ausrede, aber möglicherweise eine Erklärung dafür, wieso es diesen unangenehmen Moment brauchte.

Gastfamilie vor einem Mormonen-Tempel

Das Kurioseste

Auch wenn ich bereits vor meinem Forschungsaufenthalt mehr als ein Jahr in den USA gelebt habe, fasziniert mich die amerikanische Kultur und der „way of life“ immer wieder. Rodeos sind in Utah Staatsgut. Und so besuchte auch ich mit meiner Gastfamilie insgesamt vier verschiedene Rodeos, zu denen wir teilweise bis zu drei Stunden Anfahrt hatten. Neben Bullenreiten, dem Tonnen-Rennen auf dem Pferderücken („Barrel Racing“) oder dem Kälber einfangen („Break away calf roping“) gibt es eine weitere Disziplin für Kinder: „mutton busting“. Kleine Kinder zwischen vier und sieben Jahren, die auf Schafen reiten. Oder es zumindest versuchen. Für eine Platzierung müssen es die Kinder mindestens sechs Sekunden auf dem Schafrücken aushalten. Die meisten fallen jedoch innerhalb der ersten Sekunden wieder herunter. Sie tragen Helme und eine Schutzweste – Tränen gibt es trotzdem zu sehen. In Utah ist es ein gefeiertes Event und nahezu prestige-trächtig für Kinder, daran teilzunehmen. Für mich ist und bleibt es kurios. Am besten, ihr macht euch selbst ein Bild.


An dieser Stelle möchte ich mich bei Dr. Travis Dorsch für seine Unterstützung und fachliche Betreuung vor Ort bedanken, bei meinen Gast-Eltern Louise und Richard für ein zweites Zuhause, bei Prof. Dr. Dr. Markus Raab und Dr. Babett Lobinger für die Ermutigungen und die Flexibilität in der Promotionsbetreuung in Deutschland und bei der deutsch-amerikanischen Fulbright Kommission für die Förderung des Forschungsaufenthalts im Rahmen des Doktorandenprogramms.


Unsere Autorin bloggt seit Juli 2020 regelmäßig über ihr Forschungsthema “Eltern im Sport” und ihr Promotionsvorhaben.

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