Wieso Fußball-Eltern am Spielfeldrand Stress erleben

Nach einer Sommerpause melde ich mich mit guten Neuigkeiten zurück: Die erste Veröffentlichung im Rahmen meiner Promotion ist geschafft! Die Ergebnisse fasse ich in diesem Blog-Beitrag kompakt und verständlich für euch zusammen. Und das nächste Mal gibt es einen Einblick in meine Zeit an der Utah State University – quasi meine verlängerte Sommerpause.

Für diejenigen, die in der Forschung (noch) nicht Zuhause sind, starten wir damit, was es zur Veröffentlichung benötigt: eine Forschungsfrage, Daten, möglicherweise Co-Autor:innen, ein Manuskript und schließlich die Einreichung. Im Februar 2021 haben wir als ein Dreier-Autor:innen Team (Dr. Babett Lobinger, Dr. Travis Dorsch und ich) eine Studie bei einer englisch-sprachigen Fachzeitschrift eingereicht. Um an der Sporthochschule zu promovieren, benötige ich die Veröffentlichungen nämlich in Englischer Sprache. Nach der Einreichung folgt ein sogenannter Begutachtungsprozess (Review), in dem Gutachter:innen ein Feedback zum Artikel geben – positiv wie kritisch. Insgesamt sind wir durch zwei Begutachtungsrunden gegangen, in denen wir Anpassungen am Manuskript vorgenommen und einzelne Entscheidungen begründet haben. Wie lange so ein Prozess durchaus dauern kann, könnt ihr in Blog Nummer 7 nachlesen.

Nun aber zu den Ergebnissen! Uns hat interessiert, wieso Eltern bei den Fußballspielen ihrer Kinder Stress am Spielfeldrand erleben. Im Sommer 2020 haben wir eine Online-Umfrage an alle deutschen Fußballnachwuchsleistungszentren durchgeführt, an der sich insgesamt 330 Eltern beteiligt haben. Die Eltern konnten bis zu fünf Situationen beschreiben, die sie als stressig oder emotional herausfordernd erleben.

Nachdem wir 812 Beschreibungen von Eltern ausgewertet hatten, ergaben sich folgende 11 Stress-Bereiche:

  1. Eigenes Kind
  2. Andere Fußball-Eltern
  3. Trainer:innen
  4. Eltern-Sein
  5. Spielsituationen
  6. Gegnerische Mannschaft
  7. Schiedsrichter:innen
  8. Organisation & Logistik
  9. Umweltfaktoren
  10. Mannschaft des Kindes
  11. Andere Zuschauer:innen

Die top drei Ursachen für Stress waren folglich Situationen, in denen das eigene Kind, andere Fußball-Eltern oder Trainer:innen involviert waren. Stress-Erlebnisse mit dem eigenen Kind umfassten am häufigsten Einsatzzeiten oder Auswechslungen des Kindes. Beispielsweise haben Eltern geschildert, dass sie es als stressig erleben, wenn das eigene Kind trotz guter Leistungen nicht in der Startelf steht, bei einem Turnier am Wochenende, zu dem sie mehrere Stunden angereist sind, überhaupt nicht spielt oder wenn es in den Augen der Eltern zu früh wieder aus dem Spiel genommen wird.

Ein großer Stressfaktor war ebenfalls die Angst und Sorge um das physische und psychische Wohlergehen des Kindes. Viele Eltern haben Fouls mit direkter Verletzungsfolge für ihr Kind geschildert, wie sie am Spielfeldrand standen und nicht eingreifen konnten und die Sorge darüber, wie sich die Verletzung auf die weitere Fußballkarriere des Kindes auswirkt. Auch Fehler des eigenen Kindes im Spielverlauf wie Fehlpässe oder verschossene Strafstöße erleben Eltern häufig gleichermaßen stressig wie ihr Kind auf dem Spielfeld – gerade weil sie als Zuschauer:innen eine Achterbahn an Emotionen durchlaufen. Besonders diese emotionalen Erfahrungen lassen Eltern mit ihrem Kind empathisch sein, mitfiebern und sich stark mit ihrem Kind identifizieren.

Am zweithäufigsten wurden stressige Situationen mit anderen Fußball-Eltern genannt. Hier dominierten Beschreibungen über verbales Fehlverhalten am Spielfeldrand. Beispielsweise wurde über Eltern berichtet, die ihre eigenen Kinder, andere Kinder, Schiedsrichter:innen oder Trainer:innen angeschrien haben, die nicht nur Erwachsene, sondern auch Kinder massivst beleidigt und beschimpft oder sogar bedroht haben und die über die Spielweise oder die Leistung eines Kindes gelästert haben – nicht nur in der gegnerischen Mannschaft, sondern auch in den eigenen Reihen. Stress für Eltern entsteht folglich auch durch Konkurrenz und Neid unter Eltern innerhalb eines Vereins.

Den Abschluss der top drei Stressursachen bildet das Verhalten von und die Zusammenarbeit mit Trainer:innen. Ein Unverständnis über pädagogische oder taktische Maßnahmen wie die Spielaufstellung oder der Umgang mit den Kindern kann für Eltern ein Stressfaktor sein. Es erzeugt ebenfalls Stress, wenn Eltern das Verhalten des/der Trainer:in als unfair wahrnehmen. Zum Beispiel, wenn einzelne Kinder bevorzugt würden und trotz angeblich schlechterer Leistung häufiger zum Einsatz kommen. Und schließlich schilderten Eltern, dass es stressig für sie war, wenn sie kaum Informationen von Trainer:innen erhalten, nicht einbezogen werden und somit auch einzelne Entscheidungen nicht nachvollziehen können.

Was nehmen wir aus unseren Ergebnissen mit? Das soziale Umfeld im Sport ist entscheidend. Und zwar besonders die Interaktionen und Beziehungen zwischen Eltern, Kindern und Trainer:innen. Die Berichte der Eltern haben gezeigt, dass Stress selten durch das Elternteil allein ausgelöst wird, sondern dass es auf die Personen im Umfeld ankommt. Ein Kind, das traurig ist, weil es auf der Bank sitzt in Kombination mit einem/einer Trainer:in, die Entscheidungen nicht begründet, haben gemeinsam Konsequenzen auf die Reaktionen eines Elternteils. Und diese Reaktionen (Wut, Frustration, Mitgefühl mit dem Kind) wirken sich wiederum sowohl auf das Kind als auch den/die Trainer:in aus.

In der Praxis sollten daher Coachings mit Eltern zu ihren Emotionen und Stress-Erfahrungen am Spielfeldrand etabliert werden, die Raum für Reflexion und Austausch untereinander lassen. Studien zeigen, dass Eltern innerhalb eines Vereins sich gegenseitig eine Stütze bei Stress sein können (Burgess et al., 2016; Knight & Holt, 2013; Lienhart et al., 2020). Und letztlich gilt es, positive Beziehungen und eine transparente Zusammenarbeit zwischen Eltern und Trainer:innen im Nachwuchsleistungsfußball zu fördern. Denn nur so kann die Basis für eine optimale sportliche Entwicklung des Kindes entstehen.

HIER geht es zum Original-Artikel. Ein PDF des Artikels kann gerne per E-Mail (v.eckardt@dshs-koeln.de) bei mir angefragt werden.


Quellen

Burgess, N. S., Knight, C. J., & Mellalieu, S. D. (2016). Parental stress and coping in elite youth gymnastics: an interpretative phenomenological analysis. Qualitative Research in Sport, Exercise and Health, 8(3), 237-256. https://doi.org/10.1080/2159676x.2015.1134633

Eckardt, V. C., Dorsch, T. E., & Lobinger, B. (2021, October 16). Competitive Stressors in Professional German Youth Soccer Academies: A Mixed-Method Study. Psychology of Sport and Exercise. Advance online publication.

Knight, C. J., & Holt, N. L. (2013). Strategies used and assistance required to facilitate children’s involvement in tennis: Parents’ perspectives. The Sport Psychologist, 27(3), 281-291. https://doi.org/10.1123/TSP.27.3.281

Lienhart, N., Nicaise, V., Knight, C. J., & Guillet-Descas, E. (2020). Understanding parent stressors and coping experiences in elite sports contexts. Sport, Exercise, and Performance Psychology, 9(3), 390-404. https://doi.org/10.1037/spy0000186


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