Schwerelos für die Forschung

Einmal schwerelos sein. Auch auf der Erde ist das möglich – und zwar bei Parabelflug-Kampagnen. Ein umgebautes Passagierflugzeug – Angela Merkels altes Regierungsflugzeug – fliegt dafür eine zur Erdoberfläche geöffnete Wurfparabel. Wird dieses Manöver von außen gefilmt, sieht es ziemlich spektakulär aus.

Originalaufnahme des AirZeroG beim Fliegen einer Parabel. Quelle: Novespace

Aus dem Horizontalflug mit Höchstgeschwindigkeit geht das Flugzeug in einen Steigflug bis zu einem Neigungswinkel von ca. 50° über. Während dieser 20-Sekündigen Phase wirkt in der Maschine bis zu 1,8 x erhöhte Schwerkraft im Vergleich zur Schwerkraft auf der Erde. Danach werden die Triebwerke gedrosselt, sodass das Flugzeug erst weiter nach oben fliegt und anschließend in einen kontrollierten freien Fall übergeht. Im Inneren des Flugzeugs herrscht für ca. 22 Sekunden Schwerelosigkeit. Ab einem Sinkflugwinkel von rund 42° fangen die Piloten die Maschine ab. Die Triebwerke werden wieder hochgefahren. Es herrschen für rund 20 Sekunden wieder etwa 1,8 g.

Innen im Flugzeug merkt man davon nichts – außer, dass man erst stark auf den Boden oder in den Sitz gepresst wird, dann schwerelos ist und danach mit Wucht zu Boden plumpst oder wenn man sitzt, in den Sitz gepresst wird. Wer schon geflogen ist weiß, dass man normalerweise selbst bei Start und Landung sehen kann, wie steil das Flugzeug in die Höhe fliegt. Dass an Bord des AirZeroG nur die Lichtreflexe der Fenster ein Indiz dafür sind, dass man sich gerade im freien Fall befindet, klingt kaum vorstellbar.

Der Airbus A310 Zero G, auch “AirZeroG”.

Bevor ich es selbst erlebt habe, konnte ich mir nicht vorstellen, dass man freien Fall nicht sieht, nur spürt. Vielleicht ist Schwerelosigkeit deshalb so spektakulär – weil sie menschliche Sinne austrickst.

Um mich auf die neue Situation vorzubereiten, habe ich vor meinem Parabelflug Erfahrungsberichte von Parabonauten – so nennt Versuchsleiter Prof. Stefan Schneider seine Proband*innen – durchgelesen. Ich habe mir das Manöver mehrmals in Videos wie oben angeschaut und mich zwischenzeitlich gefragt: Für was hast du dich da eigentlich freiwillig als Probandin gemeldet?!

Für eine Parabelflug-Kampagne des Instituts für Bewegungs- und Neurowissenschaft der Deutschen Sporthochschule Köln! Und jedem Anflug von Angst konnte ich entgegnen: Ein Parabelflugzeug wird von drei speziell geschulten französischen Militärpiloten geflogen und seitdem es Parabelflüge gibt, ist noch nie ein Parabelflieger abgestürzt. Mein Einsatz für die Forschung kann losgehen!

Später in voller Montur im Flugzeug: Die Aufregung steigt!

Dr. Petra Wollseiffen und Prof. Stefan Schneider wollen bei ihren Untersuchungen in Schwerelosigkeit herausfinden, wie sich der Blutfluss ins Gehirn in den verschiedenen Phasen des Fluges verändert und welche Auswirkungen das auf die kognitive Leistungsfähigkeit hat. Sie werden dabei vom Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) unterstützt. Ihre Erkenntnisse können für Langzeit-Missionen im All, aber auch für Erkrankungen auf der Erde wichtig sein. Zum Beispiel für die Alzheimer Erkrankung, bei der die Regulation des Blutflusses im Gehirn eine Rolle spielt.

Prof. Stefan Schneider (li) und Dr. Petra Wollseiffen (re) bei ihrem Probanden André.

Beide Forscher*innen vermuten, dass ein vermehrter Zufluss von Blut ins Gehirn eine kognitive Leistungssteigerung bewirkt. In den kurzen Phasen von Schwerelosigkeit könnte der Blutfluss verstärkt sein, weil das Herz dann nicht mehr – wie unter normaler Schwerkraft auf der Erde – Blut gegen die Schwerkraft nach oben pumpen muss. Es fließt leichter in den Kopf.

Proband Fabian beim Experiment “Multitasking mit Kopfrechnen” (Teil 1).

In Teil eins ihres Experiments untersuchen sie die kognitive Leistungsfähigkeit ihrer Proband*innen. Dafür messen sie mit Hilfe einer Neurokappe die Hirnströme während die Versuchsteilnehmer*innen im Kopf Rechenaufgaben lösen und gleichzeitig über Kopfhörer mit Tönen beschallt werden, auf die sie reagieren müssen – Multitasking.

Proband Fabian beim Experiment “Ultraschall und Blutfluss” (Teil 2).

In Teil zwei des Experiments geht es um den Blutfluss. Während der kompletten Parabel machen die Forscher*innen per Ultraschall sichtbar, was in Halsschlagader und Halsvene passiert. So können sie Rückschlüsse auf den Querschnitt der Gefäße und auf die Fließgeschwindigkeit des Blutes ziehen.

Am Tag vor dem Parabelflug: Selfie mit dem AirZeroG.

Im Mittelpunkt der Untersuchung stehen die Proband*innen. Sie müssen gut vorbereitet sein und zu jedem Zeitpunkt wissen, was zu tun ist, damit die beiden Wissenschaftler*innen brauchbare Ergebnisse erhalten. Vor allem sollte ihnen während des Fluges nicht übel werden – denn wer kotzt rechnet meist nicht gerne gleichzeitig kopf. Wer weiß, dass der AirZeroG den Spitznamen „Kotzbomber“ oder in Englisch „Vomit Comet“ hat, erkennt: the struggle is real! Man hat es nicht selbst in der Hand. Deshalb zählen Kotztüten auch zum Standardequipment. Einen Testdurchlauf, wie man die Kotztüte in Schwerelosigkeit nutzt, gibt es nicht.

Aber von vorne:

“Follow me”-Eskorte über das Rollfeld.
Der erste Blick auf den Hangar und das Flugzeug.

Für die Proband*innen geht die Vorbereitung auf den Flug am Tag zuvor los. In unserem Fall – bedingt durch Corona – startete der Flieger in Paderborn. Man wird von Sicherheitspersonal und einem „Follow Me“-Fahrzeug über die Rollwege seitlich der Start- und Landebahn zu einem riesigen Hangar gebracht. Vor dem Hangar steht der AirZeroG und man sieht Forscher*innen mit allerlei Equipment über eine Treppe ins Flugzeug gehen. Ein besonderer Moment, dieses Flugzeug zum ersten Mal in echt zu sehen…das Flugzeug, das einem am Folgetag ein so spektakuläres Manöver sicher ermöglichen soll. Im Hangar sind Tische für alle Projekte aufgebaut. An den Tischen werden die Proband*innen und die Experimente vorbereitet und es gibt Verpflegung.

Der Hangar von innen.
Blick auf den AirZeroG aus dem geöffneten Tor des Hangars.

Mein Mitflieger André und ich sollen zunächst unsere blauen Fluganzüge + Patches bei Anne-Clotilde, der Koordinatorin von Novespace (französischer Betreiber von Parabelflügen) abholen. Alle Versuchsleiter*innen und Versuchsteilnehmer*innen müssen diese Anzüge tragen. Die Mitarbeiter*innen von Novespace tragen orange Anzüge. Danach geht es für einen letzten Check zum Arzt und dann ins Flugzeug: Der Versuchsaufbau muss vorbereitet werden. Ich werde beim Flug als erstes das Ultraschall-Experiment durchführen. Für den Ultraschall werde ich mit einem Schultergurt am Sitz festgebunden. Das Ultraschallgerät liegt auf meinem Schoß und wird über zwei Klettbänder an den Beinen fixiert – damit es in Schwerelosigkeit nicht wegfliegt. Wir gehen die Kommandos durch, auf die ich während des Fluges reagieren muss und die Einstellungen, die ich am Gerät vornehmen soll. Versuchsaufbau eins: check.

Der Versuchsaufbau des Spoho-Experiments im Flugzeug. Hinten: Ulraschall, vorne: Multitasking.

Beim Kopfrechnen sitzt man auf dem Boden, sieht auf einem Monitor zwei Rechenaufgaben und muss über Drücken auf Tasten angeben, welche Aufgabe den höheren Wert ergibt. Gleichzeitig reagiert man auf Töne, die per Kopfhörer eingespielt werden. Die Hirnströme werden dabei über eine Neurokappe gemessen. Am Boden ist man mit einem roten Gurt fixiert. Ich soll zuerst ohne Töne rechnen, um ein Gefühl für die Aufgaben zu bekommen. Anschließend teste ich die Aufgabe mit Zusatztönen. Ehrlichgesagt: Schon ohne Aufregung und den Einfluss von Schwerelosigkeit eine Herausforderung. Versuchsaufbau zwei: check.

So wird die Perspektive später auch beim Flug sein. Hier aus Sicht des Multitasking-Experiments

Während des rund zweistündigen Fluges werden insgesamt 31 Parabeln geflogen. Die Experimente dauern jeweils 15 Parabeln. Das heißt: André und ich müssen das Experiment nach der Hälfte wechseln. Hierfür ist eine kurze Pause vorgesehen. Die Parabel eins ist eine Testparabel, um alle Einstellungen für das Experiment vorzunehmen. Während dieser Parabel können wir Proband*innen genießen. Da das Manöver über dem Meer in französischem Luftraum geflogen wird, steht vor und nach dem eigentlichen Experiment ein Flug von jeweils ca. 1 ½ Stunden an – und ein Zwischenstopp zum Tanken.

Aufgestanden und bereit für den Flugtag.
Es ist noch dunkel, als wir am Flugtag am Hangar ankommen.

Am Flugtag geht es um 5:30 Uhr los. Nach der Fahrt zum Flughafen ziehen André und ich uns den blauen Anzug an, dürfen eine Kleinigkeit essen, bekommen Scopolamin, ein Medikament gegen Übelkeit, das leider nicht bei allen wirkt, gespritzt und dann geht es schon ziemlich schnell los. Die Aufregung steigt. Was ich mir vorgenommen habe: bloß nicht kotzen! Die kritischen Blicke von Prof. Stefan Schneider, während ich kurz vor dem Flug noch drei Marmeladenbrote und eine Banane verschlinge, verunsichern mich etwas. Deshalb halte ich mich während des Fluges extra konsequent an seinen Tipp: Bauchmuskeln während der 1,8-g-Phasen anspannen…ich spanne den Bauch gleich während des kompletten Fluges an…zumindest gefühlt und (Spoiler!) mit Erfolg!

Ausgestattet mit blauem Anzug und weißen Schuhen kann es losgehen…nur keine schwarzen Streifen in der weiß ausgekleideten AirZeroG-Kabine hinterlassen!!

In den 1 ½ Stunden Anflug wächst die Aufregung. Ich schaue mir zur Ablenkung das Flugzeug an. Alle Passagiere sitzen im hinteren Bereich der Kabine auf normalen Sitzen. Am Ende der Sitzreihen ist ein Fangnetz angebracht, dahinter sind alle Experimente aufgebaut. Ohne Experimente wäre die Kabine im Forschungsbereich leer. Alle Sitzreihen sind hier ausgebaut, die Wände mit weichen, weißen Matten ausgekleidet. Von der Decke strahlt helles Licht. Die Tür ins Cockpit steht offen.

Hier sitzen die Passagiere während des Fluges; so lange, bis der Steigflug nach dem Start abgeschlossen ist und man zu den Experimenten gehen darf.
Der Bereich mit den Experimenten ist in Richtung Cockpit und Stuhlreihen mit einer Art Fangnetz abgetrennt. Viele Passagiere nehmen kleine Kuscheltiere mit, die sie an den Haltegriffen festbinden. Sie schweben in Schwerlosigkeit ulkig umher.
So sieht die Kabine während unseres Fluges aus. Hier werden gerade die Proband*innen für die Parabeln vorbereitet. Rechts sieht man zwei Probandinnen bei einem VR-Experiment.

Kurz nach dem Start – nachdem die Anschnallzeichen erloschen sind 😉 – können alle Wissenschaftler*innen zu ihren Experimenten gehen und die letzten Vorkehrungen treffen (s.o.). In unserem Fall werden André und ich an unserem jeweiligen Platz fixiert und uns werden die Neurokappen angelegt.

Fertig ausgestattet: mit Neurokappe auf dem Kopf und Ultraschall-Gel am Hals.
Immer dabei: mein Glücksbringer Super Mario…ein bisschen fühlt man sich wie Super Mario in Schwerelosigkeit.

Dann heißt es warten. Immer wieder werfen André und ich uns etwas angespannte Blicke zu. Zur Aufregung trägt bei, dass aus dem Cockpit in regelmäßigen Abständen Ansagen dröhnen. Die Piloten geben durch, wie viel Zeit noch bis zur ersten Parabel ist. „20 minutes to first parabola“. „10 minutes to first parabola“. „5 minutes…“ und dann:

Meine erste Parabel…Sound on!
Hinweis: Ich durfte die Maske zu diesem Zeitpunkt kurzzeitig abziehen, weil ich mit Maske nichts mehr auf dem Ultraschallgerät sehen konnte. Später konnten wir sie besser fixieren.

Unbeschreiblich! Nach der ersten Testparabel bleibt nicht viel Zeit, das Gefühl von Schwerelosigkeit zu verarbeiten. Ich muss arbeiten. Ich klappe den Bildschirm des Ultraschallgeräts nach oben und bereite mich auf die nächste Parabel vor.

Ich erlebe die Schwerelosigkeit als besonders intensiv, weil sie nach der 1,8-g-Phase so extrem erscheint. Von doppelt so schwer wie auf der Erde fühlt man sich plötzlich ultra leicht – so wie Super Mario. Mit dem Gefühl experimentieren kann ich später beim Kopfrechnen. Hier habe ich während der Schwerelosigkeit “frei”. Rechnen muss ich in anderen Phasen. Ich darf also den Gurt etwas loszurren und schweben.

Schweben und Spielen.

Und weil ich noch immer nicht in Worte fassen kann, wie sich das Gefühl von Schwerelosigkeit, das ich beim Flug insgesamt 11 Minuten lang erleben durfte, anfühlt, habe ich die anderen Parabonauten des Spoho-Experiments gebeten, ihre Eindrücke in Worte zu fassen. Viel Spaß!

Wie fühlt sich Schwerelosigkeit an? Die Eindrücke von sechs Erstflieger*innen. Sound on!

Fotos und Videos: Prof. Stefan Schneider, Dr. Petra Wollseiffen & Marilena Werth


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