„Wir bewerten die Dinge im Leben wieder neu“ – Lehre und Forschung in Corona-Zeiten

Dr. Stefan Walzel, Institut für Sportökonomie und Sportmanagement


Bereits nach der ersten Online-Lehrveranstaltung beschlich mich das Gefühl der Sehnsucht nach dem altbekannten physischen Seminarraum und Hörsaal, egal wie hell oder dunkel, wie warm oder kalt, wie muffig oder gut gelüftet, ob mit oder ohne Tische er auch immer sein mag. Dieses Gefühl wurde in der zweiten Online-Vorlesungswoche nur verstärkt. Mit dem einen oder anderen Abstrich und einigen Kompromissen ist unter den gegebenen Umständen eine Absicherung der Lehrinhalte in den Seminaren und der einen Vorlesung für mich möglich.

Was mir als Dozent aber immer noch Unbehagen bereitet, ist das fehlende Feedback der Studierenden in Form von Mimik und Gestik. Hat man deren Aufmerksamkeit, hat man Interesse geweckt, über- oder unterfordert man sie gerade? Der Blick auf den Bildschirm bietet hier keinerlei Hilfe, da die meisten Studierenden das Mikrofon und die Kamera ausgeschaltet haben. Eine Steuerung des Lerntempos sowie Anpassungen an die aktuelle Situation sind ohne Feedback kaum möglich. Während mich in früheren Semestern der Griff von Studierenden zum Handy nervte, so war es doch auch ein Zeichen fehlender Aufmerksamkeit, was mir heute als Feedback helfen würde.

Projektabstimmung mit meinem Kollegen Niklas Rotering, studentische Hilfskraft

In zahlreichen Meetings und Gesprächen mit Kolleg*innen aus dem Ausland hatten wir – aufgrund der unterschiedlichen Vorlesungszeiten – Zeit, uns auf die Situation vorzubereiten und von den Erfahrungen der Kolleg*innen zu lernen. Aktuell testen viele Kolleg*innen im Ausland neue Prüfungsformen und -methoden. Diese Erfahrungen könnten für uns sehr hilfreich sein. Es wird aber – vor allem an den anglo-amerikanischen Universitäten – auch deutlich, in welcher komfortablen Situation wir in Deutschland sind. An vielen Universitäten wird die große Abhängigkeit von ausländischen Studierenden und damit verbundenen Einnahmen aus Studiengebühren offensichtlich. Erste Stellen wurde bereits gestrichen, und weitere werden folgen, denn zum Beginn des neuen Studienjahres gehen viele Universitäten im anglo-amerikanischen Raum von deutlich weniger internationalen Studierenden aus. Das wird kurz- bis mittelfristige massive Auswirkungen auf diese Universitäten haben.

Diese Zukunftsunsicherheit spiegelt sich auch in den Forschungsaktivitäten wider. Kolleg*innen berichten von gekürzten Forschungsbudgets und Reisebeschränkungen, die eine Planung für die Umsetzung von aktuell laufenden Forschungsprojekten erheblich erschweren, in einigen Teilen sogar aktuell unmöglich machen; ganz zu schweigen von der Anbahnung neuer Forschungsprojekte. Die eigene private und familiäre Situation schränkt die verfügbare Zeit für Forschungsaktivitäten stark ein, und eine intensive Auseinandersetzung mit den Themen, Problemen und möglichen Lösungsansätzen fällt in diesen Zeiten schwer, weil der Kopf einfach nicht frei ist. Das merke ich selbst auch an der einen oder anderen Stelle.

Der aktuellen Situation kann man durchaus auch etwas Positives abgewinnen. So war es für mich sehr überraschend zu sehen, dass wir zahlreiche Bewerbungen für den mittlerweile sechsten Jahrgang des Weiterbildungsangebots zum European Handball Manager erhalten haben. Trotz der sportlichen und wirtschaftlichen Probleme in vielen Sportorganisationen sehen die handelnden Personen die Aus- und Weiterbildung scheinbar als wichtigen Baustein für die zukünftige Entwicklung an und agieren hier proaktiv.

Abstimmung zur virtuellen Konferenz der European Association for Sport Management (EASM) im September 2020

In meiner Funktion als ehrenamtlicher Generalsekretär der European Association for Sport Management waren wir gezwungen, unsere Jahreskonferenz im September abzusagen und konnten dank der Solidarität der künftigen Ausrichter alle Konferenzen um ein Jahr verschieben. Gleichzeitig bereiten wir gerade unsere erste virtuelle Konferenz im September dieses Jahres vor und haben über 200 Einreichungen aus der ganzen Welt dafür erhalten, womit wir nicht gerechnet hätten. 

Mein Zwischenfazit: Die Corona-Pandemie stellt uns alle vor eine Vielzahl von Herausforderungen. Wenn wir sie alle gemeinsam anpacken und auch die Chancen erkennen, die uns die Situation bietet, werden wir gestärkt aus der Krise hervorgehen und vor allem vielen Dingen einen neuen Wert beimessen, was vielleicht längst überfällig war.


Autor: Dr. Stefan Walzel, Institut für Sportökonomie und Sportmanagement, Abt. Sportbetriebswirtschaftslehre, wissenschaftlicher Leiter des Zertifikatstudiums European Handball Manager (EHM)



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