Die Kölner und der fast vergessene Weltmeister

Seit nun 24 Jahren steht es mitten auf dem Campus – das Kölner Radstadion. Die Radrennbahn ist der direkte Nachfolger der „Müngersdorfer Radrennbahn“ und ihm sogar flächengleich. Historisch betrachtet ist sie bereits das sechste Renn-Oval der Domstand, gegenwärtig jedoch auch das Einzige. Mit der „Albert-Richter-Bahn“ erfüllt Köln auch internationale Standards und ist in der Lage, große nationale, sowie internationale Rennen auszutragen, so wie beispielsweise die jährlich stattfindenden Deutschen Omnium Meisterschaften der Nachwuchsklassen.

Alte Radrennbahn Müngersdorf | Quelle: https://www.micha-s-fc-cologne-site.be/fc-stadion/radrennbahn-muengersdorf

Der Name der Bahn gilt jedoch als Homage an einen der wohl großartigsten Radsportler seiner Zeit, Albert Richter. In den 1930er Jahren galt er als aufstrebender Star der Szene und brachte somit die Faszination des Bahnradsports in seine Heimatstadt Köln. In einer Zeit, in der der Radsport einen ähnlichen Stellenwert hatte, wie heute der Fußball, war er stets als bescheidener und liebenswerter, beinah schon schüchterner Kerl bekannt. Und das trotz der großen Erfolge, die er zu feiern hatte.

Er kam wie aus dem nichts – und siegte. Sein erstes großes Rennen gewann er beim Fliegerrennen „Grand Prix de Paris“ im Jahr 1932. Nur wenige Monate später sollte der Weltmeistertitel der Amateure folgen. Bei den Weltmeisterschaften in Rom trat der gerade mal 19-Jährige gegen den Italiener Nuno Muzzo an und besiegte diesen vor dem heimischen Publikum. Nur ein Jahr später wechselte das deutsche Fliegertalent ins Fahrerlager der Profis. Das erste Rennen dieses Karriereabschnittes bestritt er auf seiner „Heimbahn“ in der Kölner Rheinlandhalle am 14. Oktober – seinem Geburtstag – und beschenkte sich prompt mit einem Sieg.

Im Laufe seiner Karriere wurde Richter von Ernst Berliner, einem jüdischen Journalisten und Radsport-Manager, betreut, der auch sowas wie ein zweiter Vater für ihn war. Nicht nur die Tatsache, dass Berliner und Richter eine so enge Freundschaft pflegten, war dem damaligen NS-Regime ein Dorn im Auge, auch das Verhalten des Radsportstars sorgte für Diskrepanzen. Denn dieser weigerte sich beispielsweise auch das Hakenkreuz auf der Brust zu tragen und wählte stattdessen bei seinen Rennen ein Trikot mit dem deutschen Reichsadler.

„Gerne bestätige ich Ihnen, dass Albert ein Antinazi war. Schon lange Zeit vor dem Kriege sah er das Treiben und die Machenschaften dieser Verbrecherbande, so nannte Albert die Nazis … Hätte er mit den Nazis mitgemacht, wäre es für ihn von großem Vorteil gewesen. Albert wählte den anderen Weg“, erinnerte sich 1956 Sepp Dinkelkamp, ein schweizer Sprinterkollege Richters, in einem Brief an dessen Eltern. Aufgrund dieser Einstellung, der Beziehung zu Ernst Berliner und auch wegen der attraktiveren Fliegerszene verbrachte Richter einige Jahre im Ausland und zog von Rennen zu Rennen.

Kurz nach Ausbruch des zweiten Weltkrieges kehrte er jedoch in sein Heimatland zurück und gewann am 9. Dezember 1939 sein letztes großes Rennen in Berlin. Doch im deutschen Reich hielt es ihn nicht lang. Richter beschloss, ins Ausland zu fliehen, mit der Begründung, er wolle nicht gegen seine französischen Brüder kämpfen. Als Ziel wählte er nach reichlichen Überlegungen die Schweiz. Mit ein paar Skiern, seinem Koffer und dem Bahnrad im Gepäck stieg er am 31. Dezember 1939 in den D-Zug Richtung Basel. Im Gepäck hatte er aber auch noch 12.700 Reichsmark, versteckt und eingenäht in die Schlauchreifen seines Bahnrads. Die Summe gehörte ursprünglich dem aus Köln stammenden und mit Richter befreundeten Juden Alfred Schweizer. Trotz Abraten seines Managers löste Richter sein Versprechen gegenüber Schweizer ein und versuchte das Bargeld über die Grenze zu schmuggeln, was in den damaligen Zeiten unter Sportlern gar nicht einmal unüblich war. Richter wurde jedoch an der Grenze gefasst und musste den Zug verlassen, um sich bis auf das letzte Hemd durchsuchen zu lassen. Ob Zufall oder Verrat ist bis heute ungeklärt.

Als sein Bruder, Josef Richter, ihn nur wenige Tage später im Gefängnis besuchen wollte, traf er ihn schon nicht mehr lebend an. Nach Aussagen der Gestapo habe sich Albert selbst das Leben genommen und wäre erhangen in seiner Zelle aufgefunden worden. Unzähligen Indizien zu Folge, wie beispielsweise der blutverschmierten Kleidung, in der sein Bruder den jungen Radsportstar nach seinem Tode zu Gesicht bekam und den widersprüchlichen Pressemitteilungen der Gestapo zu dessen Ableben, lässt sich aber vermuten, dass Albert Richter Opfer eines skrupellosen und brutalen Systems wurde. Die Beerdigung fand auf dem ehemaligen Ehrenfelder Friedhof (heute: Melaten) nur im Kreise der engsten Familie statt, da es den Angehörigen untersagt wurde, eine Todesannonce zu veröffentlichen

Im Rahmen meiner Recherche stattete auch ich dem Grab der Bahnrad-Ikone einen Besuch ab und durfte sogar feststellen, dass auch heute noch Grußkarten zum Gedenken an Albert Richter niedergelegt werden.

Nach seinem Tode nahm das damalige Organ des deutschen Radfahrerverbandes dazu Stellung und schrieb fast schon voller Häme: „Sein Name ist für alle Zeit in unseren Reihen gelöscht“. Beinahe wäre dies auch Wirklichkeit geworden, denn im Zuge der NS-Herrschaft wurden sämtliche Dokumente über Albert Richter vernichtet, sein Name wurde totgeschwiegen. Erst Ende der 80er Jahre begaben sich zwei Hamburger Journalisten auf die Spurensuche und entwickelten den 90minütigen Dokumentarfilm „Auf der Suche nach Albert Richter – Radrennfahrer“. Im Zuge einer Ausstrahlung der ARD wurde auch die Kölnerin Renate Franz auf den vergessenen Helden aufmerksam und stellte kurzerhand den Bürgerantrag, die neu geplante Radrennbahn nach ihm zu benennen, bevor sie ihm sogar ein ganzes Buch widmete. Das Buch trägt den Titel „Der vergessene Weltmeister – Das rätselhafte Schicksal des Radrennfahrers Albert Richter“ und diente auch meiner Recherche als gehaltvolle Quelle und Grundlage.

In naher Zukunft soll auch die Kölner Radrennbahn eine kleine Auffrischung genießen. Plänen der Stadt Köln zu Folge soll die halbüberdachte Freiluftbahn bereits 2020 zu einer Mehrzweckhalle umgebaut und im gleichen Atemzug zum Landesstützpunkt des Bahnradsports in NRW konstituiert werden.


Autorin: Michaela Ebert, Studentin der Deutschen Sporthochschule Köln



Kommentare

  • Fahrradfahrer

    17. Mai 2020

    Ein toller Blog mit super Artikeln. Vor allem der Sport allgemein ist super wichtig. Auch Fahrradfahren kann sehr dazu beitragen, dass man sich deutlich gesünder fühlt. Ein Elektrobike ist aktuell die beste Wahl, die man treffen kann.

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