Ein kleines Olympia

Ihr Weg führt sie von Athen in Griechenland quer durch Europa bis nach Deutschland. Über die Alpen und am Rhein entlang, immer weiter in den Norden. Die brennende Fackel folgt dem Fluss und erst als er größer und größer wird, kommt ihr Ziel näher: Nordrhein-Westfalen. Das olympische Feuer ist hier nicht zum ersten Mal: 1994 auf seinem Weg nach Lillehammer hat es auch schon Station in der großen Rheinstadt Köln gemacht. Eine Stadt mit einem imposanten Dom, einer Brücker voller Liebesschlösser, zahlreichen Veedeln und einer viel besuchten und leidenschaftlich gefeierten fünften Jahreszeit. Doch das alles lässt sie hinter sich. Damals wie heute liegt ihr Ziel im Westen der Stadt, im Stadtteil Junkersdorf. Als die vier quadratischen Säulen des Rheinenergiestadions in Sicht kommen, hat die Fackel ihr Ziel fast erreicht: Die Deutsche Sporthochschule.  

Schon von weitem kann man den Turm sehen, der die grünen Baumspitzen mit seinen 77 Metern überragt. Ein olympisches Dorf in die Vertikale. In insgesamt 27 Stockwerken wohnen Athleten aus allerlei verschiedenen Ländern zusammen. Doch eines verbindet sie alle: Die Leidenschaft zum Sport. Hier kommen Kanuten und Volleyballer zusammen, Turner und Handballer, Schwaben und Franken, Athleten aus Georgien und den USA.

Am Fuße des Turms erstrecken sich die zahlreichen Sportanlagen. Insgesamt bietet das Gelände der Sporthochschule 61.000 Quadratmeter Sportfläche, ein Paradies für jeden Athleten. Während überall fleißig trainiert wird, ist ein Olympiasieger schon hier: Usain Bolt. Seine legendären 9,58 Sekunden zieren die Fassade eines der großen Institutsgebäude und in seiner charakteristischen Pose verharrt er auf Papier gedruckt an der Decke in der Leichtathletikhalle.

Aber er ist hier nicht die einzige Berühmtheit. Zu Ehren von großen Persönlichkeiten in der Sportgeschichte sind einige Wege auf dem Gelände nach ihnen benannt: So findet man sich Richtung Hockey- und Judozentrum, versteckt zwischen den Bäumen, auf dem Guts-Muths-Weg wieder. Der erste Sportpädagoge, der es verstanden hat, Theorie und Praxis in den Leibesübungen zu verbinden, und seine Gedanken an Schulen und Vereine übermittelt hat. Auch für den berühmten Turnvater Jahn, Gründer des ersten Turnplatzes in Berlin, gibt es eine Jahnwiese und dazu einen Jahnwiesenweg. Zwischen den Wohnheimen und Hallen findet sich noch eine weitere sportliche Berühmtheit: Peco Bauwens, der erste DFB-Präsident nach dem Zweiten Weltkrieg. Und auch der sport- und olympiabegeisterte Carl Diem ist einmal Namensgeber für die Hauptstraße gewesen, die das Hochschulgelände wie eine Schneise in der Mitte teilt. Doch jetzt sucht man vergeblich nach dem Namen des ersten Rektors und Gründers der DSHS. Seit 2007 heißt die Straße „Am Sportpark Müngersdorf“. Trotz Protesten und Beschwerden hat die umstrittene Rolle Diems in der NS-Zeit zur Umbenennung der Straße geführt, auf der täglich tausende Turnschuhe gehen und laufen. Sie werden getragen von Studenten und Forschern, Dozenten und Professoren, Mitarbeitern und Hilfskräften. Und unter diesen vielen Beinpaaren sind auch einige besondere dabei. Besonders, weil sie selbst schon olympischen Wettkampfboden berührt haben. Bei den letzten Spielen in Rio traten insgesamt sechs Spitzensportler der Sporthochschule an. Sie kommen aus vielen unterschiedlichen Disziplinen wie Turnen, Judo, Leichtathletik und Fußball.

Aber kein Sieg ohne hartes Training und wo würde das besser funktionieren als auf diesem Gelände. Von Athlet zu Athlet wird das olympische Feuer weitergegeben und jeder nimmt es mit zu seiner Sportart, von Halle zu Halle. Zuerst geht es vorbei am Turm, am Hauptgebäude und den Forschungseinrichtungen. Nur wenige Meter über die Straße, durch zwei Türen und unter der Tribüne hindurch, direkt auf  den roten Tartan ins Leichtathletik-Stadion der Sporthochschule. Acht Bahnen umschließen die große Grünfläche in der Mitte, über die Disken kreisend fliegen und in deren Boden sich Speere bohren. Auf der einen Seite kommen Weitspringer schwungvoll im Sand zum Landen, während auf der anderen das kraftvolle Stöhnen der Kugelstoßer zu hören ist. Dort fällt die Latte der Hochspringer klappernd zu Boden, hier sirrt der Stab beim Stabhochsprung. Gespannt verfolgen Zuschauer von der Tribüne des Netcologne-Stadions aus die vielen Disziplinen, hören Startpistolen knallen und Hürden klappernd umfallen, beobachten das Geschehen und nehmen die besondere Atmosphäre auf, denn die Leichtathleten an der Deutschen Sporthochschule laufen, springen und werfen im Rücken des imposanten Rheinenergiestadions.

Neben dem Netcologne-Stadion gibt es noch ein weiteres, benannt nach dem in Köln-Ehrenfeld geborenen Albert Richter. Ein deutscher Rennradfahrer mit zahlreichen internationalen und nationalen Siegen. Ganz in seinem Sinne sausen hier im Radstadion die Rennradler und Studenten über die Bahnen. Um die Stadien verteilen sich zahlreiche Freiplätze, grüne Wiesen und Kunstrasen für Fußball und Hockey und ein Stück weiter laden fünf Beachvolleyballfelder zum Spielen ein: Braun gebrannte Körper hechten und springen nach den weißen Bällen, angefeuert von den Zuschauern im Schatten rund um den Sand. 

Um vieles schneller fliegen die kleinen weißen Bälle in der Tischtennishalle über die Platte. Gleich neben dem Stadion, hinter einer großen Fensterfront stehen sich die Spieler gegenüber. Vorhand folgt auf Vorhand, Konter gegen Konter, dann ein plötzlicher Vorhand-Topspin und Punkt. Die Tischtennishalle ist nicht die einzige Halle. Insgesamt wird die Fackel durch 24 Hallen getragen. Besonders groß sind die Hallen 21 bis 24. Von der Tribüne aus können die Zuschauer der Eleganz und Leichtigkeit der Turner folgen. Geradezu spielerisch schwingen sie sich um die Reckstange, tanzen sie auf den Schwebebalken und zeigen Salti, Schrauben und Räder auf dem Boden und über dem Trampolin.

Eine Halle weiter, durch einen grauen Vorhang getrennt, ist die Luft von Zurufen erfüllt, laufende Füße auf den bunten Linien, von einer Seite zu anderen, schnelle Richtungswechsel, Körper stoßen aneinander, gleiten umeinander und in der Mitte ein fliegender Ball. Mit welchem Ziel auch immer, ist es ein Punkt oder ein Tor, in dieser Halle wird gespielt. Mit Hand- und Volleybällen. Parallel dazu fliegen in der letzten Halle Federbälle durch die Luft und auf der anderen Seite des Geländes landen orangene Basketbälle zielsicher im Korb.

Gegenüber der Basketball-Halle erhebt sich das große Schwimmzentrum. Schon beim Eingang fällt der Blick auf den hohen 10-Meter-Turm. Wagemutig stürzen sich Wasserspringer von dort oben in das fünf Meter tiefe Becken. Auf seinem Grund üben sich die Taucher und einmal im Jahr spielen dort unten die Teilnehmer der KölnerKinderUni in voller Tauchausrüstung Memory. Von nassen Händen wird die brennende Fackel weitergegeben in die Schwimmhalle nebenan. Startblöcke thronen über acht  50-Meter-Bahnen. Schwimmer bewegen sich leicht und widerstandslos durchs Wasser. Freistil und Brust, auf dem Rücken und tauchend. Ein Wechsel zwischen kurzem Luftholen und dem Ausstoßen einer Wolke aus Luftblasen, immer im gleichen Rhythmus, zyklisch voran bis zur Wende.

Doch die Fackel muss weiter, zurück zum Hauptgebäude. Mit blauer Schrift auf silbernen Grund prangt groß „Deutsche Sporthochschule Köln“ über dem Haupteingang. Davor in einem großen Beet ist das Wappen gepflanzt: Ein Säulentempel. Jede der vier Säulen steht für eine Eigenschaft: Stark für eine starke Lehre, wahr wie die Wahrheit der Wissenschaft, schön wie die Ästhetik des Sports und gut, wie die Pädagogik sein soll. Vier Eigenschaften zusammengeschlossen unter dem Dach der Wissenschaft. An welchem Ort könnte eine olympische Fackel besser stehen und brennen als hier in Mitten der vielen Athleten und sportbegeisterten Menschen, zwischen großen Hallen und zahlreichen Sportanlagen. Vielleicht würde sie hier ihren Platz finden, wenn einmal nicht nur Teilnehmer, sondern die Olympischen Spiele selbst nach Köln kommen würden.

Ein Beitrag von Sabine Lerche.


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