Die spielt nicht, die will nur beißen

Wir haben Montagmorgen 9 Uhr und es riecht nach verschlafenen Menschen. Die Fensterscheiben von innen beschlagen, von außen verregnet und es scheint, als fuhren wir durch eine nicht enden wollende graue Wolke. Der Herbst kehrt ins Hause ein, Mama Sonne und Papa Mond wissen schon Bescheid, nur das kleine Thermometer wurde noch nicht informiert und so bleibt es in dem Glauben es sei Sommer. Nass geschwitzt sitze ich neben Arzt, Anzug und Arbeiter, denn das Publikum im Bus ist gemischt. Ein Kind malt ein Herz in den ausgehusteten Dunst am zerkratzten Plexiglas und ich verkneife mir lauthals zu lachen, weil es so hässlich aussieht. Schlechtes Wetter, schlechte Laune, da kann das Kind gar nichts für.

 

„Der Herbst“, Julius Schmidt 04/2017. Acryl auf Himmelszelt; 80 x 65 cm

Die Uni hat begonnen und ich bin auf dem Weg zum Leichtathletikunterricht.
Nach anfänglichen Schwierigkeiten bezüglich mangelnder Organisation — ganz sicher eine Angelegenheit, an die man sich schnellst möglich gewöhnen sollte — stehen wir nun in der dritten Woche endlich auf der Tartanbahn rund um das Fußballfeld des Instituto Superior de Educación Física.
Statt des gewöhnlichen Rottons trifft man hier auf 400 m feinsten Beton, der eher einem zu groß geratenen Bürgersteig ähnelt als einer Rennstrecke. Als Startlinie dient ein länglicher Riss mit Unkraut, das Ziel ist da, wo man aufhört zu laufen.

Fußballfeld und Leichtathletik-Anlage am ISEF Nro. 1 Dr. Romero Brest

Es ist kein Geheimnis, dass der Standard der „beliebtesten Sportuniversität Südamerikas“ – so einige Studenten – nicht an den der Sporthochschule Köln heran kommt.
Das bestätigt auch Rektor Raúl Supital, der sich immer gerne Zeit für seine Studenten nimmt.
Noch vor ca. 30 Jahren,  so sagt er, haben die beiden Universitäten ähnliche bis selbe Studieninhalte und -strukturen gehabt, doch seit den 80er Jahren ginge es mit seiner Uni leider bergab, während die SpoHo ihren guten Ruf in der Welt stetig steigere. Nicht zuletzt läge das an mangelnder finanzieller Unterstützung seitens des Staates. So muss der Rektor mit verzweifelter Miene und großem Unverständnis feststellen, dass die Subventionen nicht einmal für Seife und Papier auf den Toiletten reichen. Papier Papier.

Straßenkunst im „belgischen Viertel“ von Baires, Palermo.

Buenos Aires ist eine sehr europäische Stadt, wie man immer hört. Macht es auch oberflächlich zunächst den Eindruck, bemerkt man in Unterhaltungen und Beobachtungen schnell, dass dem nicht so ist. Nachdem das Land bereits in den 70er und 80er Jahren Inflationen und den Staatsbankrott 2001 überstehen musste, folgte mit einer sprunghaften Abwertung des Peso im Januar 2014 der nächste große Crash, seither sinkt der Wert des argentinischen Pesos nahezu exponentiell.  Die Banken werden am Monatsanfang überschwemmt von Menschenmengen, man hortet das Geld lieber, als es der Bank anzuvertrauen. Lebenshaltungskosten, Freizeit und sonstige Ausgaben sind fast ausnahmslos teurer als in Deutschland. Teuer wird es für den Deutschen vor allem dann, wenn Bier in alle drei Kategorien fällt.

Abseits der Alltagssorgen das Rosenbeet am Lago El Rosedal

Da die Universität sich auf das Lehren des Sports spezialisiert, ist der Studienplan sehr praxisnah und bietet ein breites Spektrum an Lehrangeboten. So besteht mein Stundenplan beispielsweise aus Tango, Folklore, Leichtathletik, Turnen, Schwimmen und Fußball. Die perfekte Art und Weise, um Spanisch zu sprechen und mit neuen Leuten in Kontakt zu kommen, ohne ellenlange Texte in veralteten Unterrichtsräumen zu übersetzen und gleichzeitig die geforderten Fächer der SpoHo zu absolvieren. Denn abgesehen von den strukturellen und organisatorischen Gegebenheiten sind die Anforderungen und Unterrichtsabläufe die gleichen. Des Weiteren legt die Universität viel Wert auf Erlebnispädagogik. So bietet das Institut auch Kurse wie „Leben in der Natur“, „Spielfähigkeit“ oder „Kinderpsychologie“ an.

 

Außerhalb der Uni an einem Dienstagabend.

00.30 Uhr, der Platzwart will schließen und wir werden rausgeschmissen. Ein Bolzplatz aus blau gefärbtem Beton unter einer Autobahn, zwei Tore mit zerlöcherten Netzen und 12 Jungs jeden Alters, die den Fußball lieben. Das und nicht mehr, braucht der Argentinier um sich wohl zu fühlen.
Das Familienleben richtet sich nicht nach der Abendbrotzeit, sondern das Abendessen danach, wann Papa mit den Jungs kicken geht.
Auf dem Großfeld spielen die Gauchos wie eine Horde hysterischer Fünftklässler, deren Lehrer einen Ball in die Sporthalle wirft: alle auf einem Fleck und immer dem Ball hinterher. Keine Übersicht, keine Ballkontrolle, dafür aber komplett auspowern und Blutgrätschen verteilen. Der Argentinier definiert sich über den Einsatz, nicht über das Endergebnis. Böse Münder behaupten, dass sei ihnen in jüngerer Vergangenheit zum Verhängnis geworden…

Auf dem Kleinfeld aber, zeigen sie dem krummbeinigen Europäer wo der Frosch die Locken hat. Sie werden das Kompliment zwar nicht gerne hören, aber sie sind technisch so versiert wie die Brasilianer.

Nächtliches Zocken statt Gute-Nacht-Geschichte

Sonntagmorgen, 15 Uhr: Erst öffnet sich das eine, eine Viertelstunde später das andere Auge. Eine durchzechte Partynacht und vier Stunden Schlaf liegen hinter mir. Ich gehe vor die Tür um auf der Straße etwas gegen den Kater zu ergattern, als ich im Schaufenster einen Bluterguss oberhalb meines Schlüsselbeins entdecke. Vor dem Supermarkt starrt mich eine angeleinte Pitbull-Hündin an und gibt keinen Ton von sich, was mich so sehr verunsichert, dass ich zögere an ihr vorbeizugehen. „Die spielt nicht, die will nur beißen“, behauptet ein 8-jähriger Junge, grinst mich hämisch augenzwinkernd an und löst den Knoten an der Straßenlaterne. Vielleicht ticken in Argentinien nicht nur die Hunde so, dann hätte ich wenigstens eine Erklärung für das Debakel an meinem Hals.

Ein Beitrag von Julius Schmidt


Kommentare

  • sb

    30. Mai 2017

    sehr schön geschrieben

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