Anstoß in Argentinien

„Messi, Messi, Messi, Messi“, tönt es von den Rängen des El Monumental, während die Fans mit sich verbeugender Geste ihren Fußballgott auf dem Rasen ehren. Das traditionsreiche Stadion von Rekordmeister River Plate ist ausverkauft. WM Qualifikation Argentinien gegen Chile.

Alles in blau und weiß und ein großer lautstarker roter Fleck im Gästeblock auf dem Oberrang. Die Nationalhymnen sind gespielt, das Nachbarduell ist bereit zu starten. Feuerwerk, Flammenwerfer, Pfiffe. Applaus, Anpfiff, Anstoß. Ein Kindheitstraum geht gleich in meiner ersten Woche hier in Erfüllung. Argentinien, das Land, in dem Mädchen uncool sind, wenn sie keinen Fußball mögen. Das Land, in dem kein Acker zu uneben ist zum Kicken. Das Land, in dem der Fußball nicht gespielt wird, sondern gelebt.

Julius (l.) und Jony (r.) kurz vor Anpfiff im „El Monumental“ von CA River Plate

Das Spiel endet 1:0 für Argentinien und natürlich schießt der Messias das Siegtor zum durchaus schmeichelhaften 3-Punkte-Gewinn. Kurz zuvor noch geärgert, dass ich Poldis Abschiedsspiel verpasst habe, schwebe ich jetzt auf Wolke 7 im Fußballhimmel. Eine durchaus zähe Partie, die durch ein Elfmetertor in der 16. Minute entschieden werden muss, wird getragen von atemberaubender Fankulisse, peitschenden Schlachtrufen und kriegsähnlichen Gestikulationen. Anders als bei Erstligaspielen sind bei internationalen Begegnungen Gästefans erlaubt. Aufgrund von Gewalt und Todesfällen vor verschiedenen Spielen, wird den Gästefans in der argentinischen Primera Division leider der Zutritt verweigert.

Zum Abschluss einer ereignisreichen ersten Woche, fand am Freitag anlässlich des Nationalfeiertages Día Nacional de la Memoria por la Verdad y la Justicia ein Gedenkmarsch statt, zu dem tausende Argentinier und Schaulustige in bunten Klamotten mit Tänzen und Gesängen, Flaggen und Freunden erschienen.

Marcha 24 de marzo 2017 zum Gedenken der schlimmen Ereignisse der Militärdiktatur Ende der 70er Jahre und der 30.000 Toten durch Staatsterror

Einen Tag später gleich das nächste Großereignis. Die Murga Cachuengue y Tudor (eine hiesige Karnevalsorganisation) organisiert das Festival de la Resistencia mit Tänzen, Livemusik und Barbecue. Vor über 150 Jahren brachten Rheinländer die Traditionen des Kölner Karnevals nach Südamerika, wo sie sich mit der Musik der schwarzen Sklaven vereinten und eine neue Art des Karnevals formten.

In bunten Anzügen und selbstgeschneiderten Hosen wird den Sklaven gedacht, die damals heimlich in Abwesenheit ihrer „Herren“ deren Kleidung anprobierten und sich mit Grimassen über sie lustig machten.

Festival de le Resistencia in der Av. San Martin

 

Szenenwechsel.

 

19. Stock in Floresta, Buenos Aires. Die Aussicht könnte bei blauem Himmel und 30 Grad im März nicht besser sein. Ich komme anfangs bei Jony unter, der seit Oktober 2016 aus Deutschland zurück ist und zuvor ein Auslandssemester an unserer geliebten SpoHo absolviert hat.

Blick vom Balkon des Hochhauses am Abend

Von den Kopfsteinpflasterstraßen dröhnen Motoren und hysterische Hupen, das Bellen der Hunde ist lauter als das Rattern der Mofas, die sich an den Ampeln ihren Weg durch die wartenden Autos bahnen. Die Vorfahrtsregel ist hier Auslegungssache: es kommt drauf an, von wo man gerade kommt. Vorfahrt hat man immer, jeder.

Schwer zu sagen was erfrischender ist, das helle Grün der Bäume oder das strahlende Weiß der Häuserdächer. Ca. 4 Millionen Einwohner im inneren Kern der Stadt, 20 Millionen mit Provinzen und Vorstädten, 14.308 Einwohner pro km². Schluss mit den Zahlen, merkt sich doch eh niemand.

Wir sitzen bei Jonys Mutter am Esstisch, essen Empanadas und trinken Wein, in den Regalen stehen Bilder von Fußballspielern. Klischeebestätigung: Check!

Wir sprechen über den neugeborenen Enkel, wie sehr sein Gesicht doch dem seiner Oma ähneln würde. Vor zwei Tagen sei ein Elektriker hier gewesen und hat den Fernseher und das Telefon repariert, aber dennoch funktioniert beides nicht einwandfrei. Es sei doch eine Frechheit, wie teuer mittlerweile die Bildrechte an Fußballspielen wären. Und dann müsse man auch noch an Pay-TV Sender zahlen, das sei früher ganz anders gewesen. Die Mieten in der Großstadt würden auch immer unverschämter werden aber man wolle sich ja nicht beklagen, unser einer hätte es ja noch gut.

„Genieß die Auslandserfahrung, aber wird bestimmt ein Kulturschock“, haben sie gesagt. „Da ist ja alles ganz anders und bestimmt super exotisch“, haben sie gesagt. Bullshit – nichts ist hier anders. Die Menschen haben doch auf der ganzen Welt die gleichen Probleme. Die Armen teilen brüderlich die letzte Lunte auf der Straße und denen, die es besser haben, geht der Putzplan für den Hausflur auf den Senkel. Dann ist es egal ob Buenos Aires oder Bad Arnsberg, wir sind alle aus demselben Holz geschnitzt.

Obwohl, das Leitungswasser ist hier besser als in Köln, dafür läuft die Klospülung schlechter. Man kann nicht alles haben. Deswegen gibt es jetzt erstmal ein kühles Quilmes, statt Kölsch.

Ein Beitrag von Julius Schmidt


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